Halka, Opernwelt

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Kaiserslautern, 24. Mai 2015

Der polnische Verdi?

Einem patriotischen Polen kämen keine Bedenken, Stanislaw Moniuszko an den Größten seiner Zeit zu messen und ihn als polnischen Verdi zu bezeichnen. Dabei hat den nur sechs Jahre jüngeren Moniuszko eine ähnliche politische Situation geprägt wie den italienischen Kollegen. Das Kongress-­‐Polen von 1815 war ein schwacher und abhängiger Staat, Erhebungen 1830 und 1846 wurden niedergeschlagen, der Adel kollaborierte mit den Russen. In dieser Situation wirkte Moniuszkos erste Oper «Halka», in einer vieraktigen Überarbeitung 1858 in Warschau uraufgeführt, als Katalysator nationaler Gefühle wie Verdis «Nabucco». Auch stilistisch ist er vom jungen Verdi nicht weit ntfernt. Sei es, dass die dramatische Stringenz nicht an den Giganten aus Roncole heranreicht, dass Polen als musikalisch vernachlässigbar betrachtet wurde, dass nach «Halka» keine der neun Opern ähnlichen Erfolg hatte: Spät wurde sein bekanntestes Werk im Ausland aufgeführt (erst 1892 in Wien, 1905 in Mailand), und bis heute wird die dramatische Ballade höchst selten gespielt, zuletzt in Münster (siehe OW 5/2005). Das Pfalztheater in Kaiserslautern zeigt nun: zu Unrecht. Die Tragödie des Bauernmädchens, das der reiche Bojar Janusz liebt und schwängert, dann aber gegen seine Gefühle sitzenlässt, weil er eine Vernunftehe mit der Tochter eines einflussreichen Würdenträgers eingeht, hat eine realhistorisch fundierte soziale und politische Dimension. In der Bevölkerung der Goralen, der beskidischen Bergbewohner, war Armut und Unterdrückung gegenwärtig, bis zur Revolte nur ein Schritt. Ob man die Konstellation wie Moniuszko in das Jahr 1700 zurückverlegt oder wie Regisseur Michael Sturm in das 20. Jahrhundert, ist kaum von Belang. Sturm, aus der kritischen Regieschule à la Götz Friedrich, Ruth Berghaus, Harry Kupfer oder Achim Freyer kommend, verfremdet die Erzählung behutsam mit nur wenigen Akzenten. Die Goralen leben bei ihm in einer Art Arbeitslager, der Großgrundbesitzer tritt auf wie ein Lagerkommandant. Die Vorgeschichte der Liebe zwischen Janusz und Halka, irgendwo in den Bergen, bleibt als pompöses Ölgemälde hinter dem Verlobungsbankett stets gegenwärtig – und wenn die verzweifelte Halka, ganz in Weiß, ins Wasser springt, rauscht auch der Hintergrund, die wieder «wirkliche» Bergkulisse, als Leinwand in den Abgrund.

Ein überzeugender surrealer Überraschungscoup. Das «Täubchen», wiederholte Metapher in den Liedern Halkas, fliegt als projizierte Chiffre der tristen Verklärung gen Himmel. Rodrigo Tomillo, der spanische zweite Kapellmeister des Hauses, hat zwar gründliche Quellenarbeit geleistet, das Material anhand eines Klavierauszugs mit eigenhändigen Eintragungen Moniuszkos überprüft. Doch mit Subtilitäten hält er sich nicht lange auf, leitet temperamentvoll und holzschnittartig ein Orchester, das ungebremst losprescht und anfangs nicht einmal dem Chor, allein den Sängern mit großer Stimme eine Chance lässt. Gesungen wird deutsch. Am meisten überzeugt Alexander Geller als Jontek, der unglücklich in Halka Verliebte: ein lyrischer Tenor, bisher überwiegend im Operettenfach unterwegs, mit flexibler und leichter, mühelos klingender Stimme, von der man noch Großes erwarten darf.

An zweiter Stelle ist die hochmusikalische Arlette Meißner zu nennen, die Halka mit nuancierten Zwischentönen als eine von Illusionen Betrogene zeichnet – das Solocello auf der Bühne ist ihr Alter Ego. Intendant Urs Häberli und sein Dramaturg Andreas Bronkalla dürfen sich auf die Schulter klopfen: Nach Schrekers «Irrelohe» und «Der Friedenstag» von Strauss in derselben Saison noch eine gelungene Rarität zu präsentieren, zeugt von kluger und origineller Spielplangestaltung in einem Theater mit begrenzten Mitteln.

Dietmar Polacze